„Denn alle Völker dieser Erde sind Menschen“

Bartolomé de las Casas © Public Domain/Survival

Bartolomé de las Casas, „Apostel der Indianer“, war ein spanischer Missionar mit einer Leidenschaft für soziale Gerechtigkeit.

Nachdem sie ihn an den Pfahl gebunden hatten, aber noch bevor sie das Feuer unter seinen Füßen entzündeten, bot ein spanischer Priester dem Indianer-Anführer Hatuey eine Begnadigung seiner Seele an. Er fragte ihn, ob er sicher gehen wolle, dass seine Seele in den Himmel wandert, indem er das Christentum annimmt.

Hatuey dachte kurz nach und fragte: „Sind im Himmel Menschen wie du?“ Als der Priester bejahte, antwortete Hatuey, dass er lieber in der Hölle schmoren würde.

Hatuey starb vor genau 500 Jahren auf Kuba. Die Männer, die er um jeden Preis bis zur Verdammnis meiden wollte, waren die spanischen conquistadores, die Eroberer.

Der Tod von Hatuey sollte die Überzeugungen eines Mannes prägen: Bartolomé de las Casas, ein spanischer Missionar mit einer Leidenschaft für soziale Gerechtigkeit. De las Casas, der sich vom Sklavenbesitzer zum Bischof und später zum Chronisten wandelte, kämpfte bis an sein Lebensende gegen die mörderische Ungerechtigkeit, die die Eroberer über die Indianer Südamerikas brachten.

„Das Spektrum missionarischer Arbeit in der Welt umfasst drei sehr unterschiedliche Ansichten, und viele Abstufungen dazwischen“, sagt Stephen Corry, Direktor von Survival International. „Es gibt jene, die wie Bartolomé ihre Mission darin sehen, mit den Unterdrückten gegen die Unterdrücker zu stehen. Andere sehen ihre Aufgabe darin, die Macht ihrer Kirchen zu erweitern, und wieder andere wollen menschliche Seelen retten, um jeden Preis.“

Als „Apostel der Indianer“ wurde de las Casas einer der ersten Missionare, der die Rechte der Unterdrückten aufrecht erhielt und das Leben indigener Völker schützte.

Seekarte von Hispaniola und Puerto Rico von Joan Vinckeboons, um 1639 © Public Domain/Survival

De las Casas, ein Zeitgenosse von Christoph Kolumbus, war 1502 auf die karibische Insel La Española gereist, die heute als Haiti und Dominikanische Republik bekannt ist. Damals war die Insel noch von den indigenen Taínos bewohnt. Bei seiner Ankunft begrüßten die bereits ansässigen spanischen Siedler die Neuankömmlinge mit den Worten: „Die Insel entwickelt sich gut, wir können viel Gold fördern.“

Anfänglich ließ sich de las Casas als Händler und encomendero, als Besitzer indianischer Sklaven, auf einem Berg nieder „der fast komplett von einem wunderschönen und glänzenden Fluss umschlungen“ war. Die Menschen beschrieb er als „arglos und am meisten frei von Boshaft“.

Doch was den Indianern an Boshaftigkeit fehlte, wurde durch die Eroberer ausgeglichen. Man schätzt, dass bei Ankunft der conquistadores 100 Millionen Menschen in Nord-, Mittel- und Südamerika lebten. 90 % davon starben durch den Kontakt mit den Europäern – viele von ihnen an europäischen Krankheiten, gegen die sie keine Abwehrkräfte entwickelt hatten.

Die, die nicht von den eingeschleppten Krankheiten dahin gerafft wurden, wurden von den aggressiven Eindringlingen mit „seltsamer Grausamkeit“ behandelt: Sie verfütterten die Kleinkinder der Indianer an Hunde, jagten Erwachsene zum Sport und verbrannten Männer bei lebendigem Leib. „Sie denken gar nicht mehr darüber nach, zehn oder zwanzig Indianer zum Zeitvertreib zu töten oder um die Schärfe ihrer Schwerter zu testen“, schrieb de las Casas.

Er fuhr fort: „An einem Tag … zerstückelten, köpften oder vergewaltigten die Spanier 3.000 Indianer. Den flüchtenden Kindern schlugen sie die Beine ab. Sie gossen kochende Suppe über Menschen. Ich habe all diese Dinge gesehen … und unzählige mehr.“

De las Casas erkannte auch, mit seltener Klarheit, das versteckte Motiv vieler der Eroberer. Obwohl die Spanier das Requerimiento (ein königliches Dokument, das Spaniens gottgewolltes Recht zur Souveränität darlegte) in jeden Kampf trugen, glaubte de las Casas, dass die Verbreitung des Wortes Gottes größtenteils ein Trick war: eine nützliche Maske. Ehrgeiz, nicht Selbstlosigkeit, war die treibende Kraft. Gold, nicht Gott, war ihr Ziel.

Er glaubte nicht, dass sich die Eroberer ihren Weg durch die „Neue Welt“ nur in Hommage an Christus wie „gefräßige wilde Bestien“ schlugen, sondern, um „sich selbst Reichtümern anzuhäufen.“ Er vermutete, dass sie den Atlantik nicht nur überquert hatten, um das Wort Gottes zu verbreiten, sondern um das Gold in den Flüssen Amazoniens zu finden und die Mineralien, die unter ihren trampelnden Füßen lagen. „Unsere Arbeit war es, Verzweiflung und Verwüstung zu bringen, zu töten, zu verstümmeln und zu zerstören“ sagte de las Casas. Die conquistadores zerstörten Leben und Land, und erklärten den Indianern, dass sie Christen werden müssten, um ihre Seelen zu retten.

„Sie bauten Galgen die gerade hoch genug waren, damit die Füße fast den Boden berühren konnten … und verbrannten die Indianer bei lebendigem Leib.“
Illustration von Theodor de Bry in „Kurzgefasster Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder“ © Public Domain/Survival

Die systematische Zerstörung der Lebensweisen und des Glaubens indigener Völker ist noch immer eine der mächtigsten Waffen in ihrer Unterdrückung. In ihrem religiösen Eifer verbreiten einige evangelikale Gruppen noch heute die Ansicht, dass Menschen in die Hölle kommen, wenn sie nicht zum Christentum konvertieren.

In extremen Fällen wollen heutige Missionsgruppen wie die New Tribes Mission sogar den ersten Kontakt mit isoliert lebenden indigenen Völkern erzwingen – mit verhängnisvollen Folgen.

„Ob indigene Völker in diesem Prozess an eingeschleppten Krankheiten sterben oder nicht, scheint einigen Missionsgruppen relativ unwichtig zu sein, wenn es um die Sicherung himmlischer Ewigkeit geht“, sagt Stephen Corry.

So wie die Gier der Eroberer scheinbar grenzenlos war, war auch die Integrität und die Courage von de las Casas unerschöpflich. Abgestoßen von der Scheinheiligkeit der Menschen, die fromme Inspiration verkündeten und gleichzeitig die Hölle auf Erden verbreiteten, wurde de las Casas auch von einer Gruppe dominikanischer Prediger beeinflusst, die die conquistadores fragten: „Mit welchem Recht haltet ihr diese Indianer in solch grausamer und schrecklicher Knechtschaft? Sind sie keine Menschen?“

Auch die Ansichten von de las Casas änderten sich:1515 gab er seine Sklaven auf und er machte es sich zur Aufgabe, die Lügen bloßzustellen. Er fühlte sich moralisch verpflichtet den Spanischen Hof darüber zu informieren, was im Namen Christi angerichtet wurde.

Er schreib: „Um nicht in kriminellem Schweigen zu verharren ob des Ruins unzähliger Seelen und Körper, den diese Menschen anrichten, habe ich entschieden, einige der unzähligen Zwischenfälle der Vergangenheit aufzuschreiben, die ich mit Wahrheit verbinden kann.“

Diese Wahrheit, die eine umfassende Niederschrift der Misshandlungen von Indianern wurde – darunter der bekannte Kurzgefasster Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder – waren ausschlaggebend für die Verabschiedung der „Neuen Gesetze“ durch König Karl V im Jahre 1542, die den Sklavenhandel und das Encomienda-System abschafften und zur Befreiung Tausender indigener Arbeiter führten.

Titelseite von „Brevísima relación de la destrucción de las Indias [Kurzgefasster Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder]“, 1552. © Public Domain/Survival

Heute gilt de las Casas als einer der ersten Menschenrechtsaktivisten. Einige sehen in ihm sogar den Vater der Libertären Theologie. Das Konzept führte in den 1960ern zu einer Bewegung, die die Herbeiführung sozialen Wandels als eine Aufgabe der Kirche sah. „Die libertären Missionare aus den 1960ern verstanden ihren christlichen Auftrag so, wie auch de las Casas seinen verstanden hatte“, fasst Stephen Corry zusammen. „Sie glaubten nicht, dass ihre Aufgabe darin bestand, die Ungläubigen zu bekehren, sondern darin, den Bedürftigen zu helfen. De las Casas war ein Vorreiter für diesen missionarischen Ansatz.“

Solche Überzeugungen gehen jedoch oft mit großen persönlichen Entbehrungen einher. De las Casas schlug Ablehnung und Wut entgegen und manche seiner Zeitgenossen drohten ihm mit dem Tod. Über die Jahrhunderte haben viele Missionare ihre Mildtätigkeit mit dem Leben bezahlt.

Was de las Casas antrieb war nicht Eigennutz, sondern ein tief verwurzeltes Gerechtigkeitsgefühl. „Es gibt viele andere, die ebenfalls Seite an Seite mit indigenen Völkern stehen. Aber manchmal müssen sie den ultimativen Preis für ihre Hingabe zahlen“, sagt Stephen Corry.

Der Mann, der eine der ersten Messen in Amerika hielt, war auch einer der ersten, der das Leben und das Land der dortigen indigenen Völker verteidigte.

De las Casas wusste, dass die Indianer nicht weniger wert waren als ihre Unterdrücker. Er wusste, dass „alle Völker dieser Erde Menschen“ sind – rationale menschliche Wesen, Teil einer gemeinsamen Menschheit. „Denn jede Person [in unseren Kolonien] ist menschlich … und niemand gegenüber dem anderen unterlegen.“

„Ich werde mein Vorhaben verwirklichen, wenn Gott mich am Leben lässt“, schrieb de las Casas. Ihm wurden 92 Lebensjahre gelassen. Bis zu seinem Tod im Jahre 1566 in einem Madrider Kloster setzte er sich gegen die rassistische Unterdrückung der südamerikanischen Indianer ein und prangerte die Heuchelei und die Grausamkeit der Eroberer an.

Bartolomé de las Casas in einer Zeichnung von Felix Parra, 1875 © Public Domain/Survival

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