© Christian Caron – Creative Commons A-NC-SA

Die Sentinelesen

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Die Sentinelesen sind ein unkontaktiertes Volk, das auf North Sentinel Island im Indischen Ozean lebt. Sie lehnen jeden Kontakt mit Außenstehenden ab.

Survival International betreibt Lobbyarbeit, protestiert und übt öffentlichen Druck aus, um sicherzustellen, dass ihr Wunsch, unkontaktiert zu bleiben, respektiert wird.

Andernfalls könnte das gesamte Volk durch Krankheiten, gegen die es keine Abwehrkräfte hat, ausgelöscht werden.

Sentinelesen

Die Sentinelesen sind das am meisten isolierte Volk der Welt. Die Sentinelesen leben auf ihrer eigenen kleinen, mit Wald bedeckten Insel mit den Namen North Sentinel, die etwa die Größe von Manhattan hat. Sie widersetzen sich nach wie vor jedem Kontakt mit Außenstehenden und greifen jede*n an, der oder die sich ihnen nähert.

© Indian Coastguard/Survival
Kurz nach dem Tsunami 2004 wurde dieses Mitglied der Sentinelesen fotografiert, wie es mit einen Pfeil auf einen Helikopter schoss.

Im November 2018 wurde der Amerikaner John Allen Chau von Angehörigen der Sentinelesen getötet, als er versuchte sie zum Christentum zu bekehren. Sein illegaler Kontaktversuch hätte das gesamte Volk der Sentinelesen durch die Einschleppung neuer Krankheiten wie der Grippe, gegen die die Sentinelesen keine Immunität entwickeln konnten, auslöschen können.

2006 hatten zwei indische Fischer nach einer illegalen Jagd in den Gewässern der Insel ihr Boot zum Schlafen in der Nähe von North Sentinel festgemacht. Sie wurden getötet, nachdem sich ihr Boot losgemacht hatte und sie ans Ufer getrieben waren. Wilderer sind dafür bekannt, dass sie in den Gewässern rund um die Insel illegal Fischerei betreiben. Sie fangen dort Schildkröten und tauchen nach Hummern und Seegurken.

Wenn die indischen Behörden den Schutz der Insel ausreichend durchgesetzt hätten, wären diese Tragödien vermutlich niemals passiert. Die Sentinelesen haben immer wieder gezeigt, dass sie in Ruhe gelassen werden wollen – ihr Wunsch sollte respektiert werden. Benachbarte indigene Völker wurden durch Krankheiten und Gewalt ausgelöscht, nachdem die Briten ihre Inseln kolonisiert hatten.

Survival International ist die einzige Organisation, die weltweit gegen die Vernichtung unkontaktierter Völker kämpft.

Nord Sentinel Insel, Zuhause der Sentinelesen von oben

Wie die Sentinelesen leben

Das meiste Wissen über die Sentinelesen basiert auf Beobachtungen, die von in sicherer Pfeildistanz festgemachten Booten aus gemacht wurden sowie auf einigen kurzen Phasen, in denen es die Sentinelesen den Behörden erlaubten sich soweit anzunähern, dass sie Kokosnüsse übergeben konnten. Es ist nicht einmal bekannt, wie sie sich selbst nennen.

Die Tatsache, dass die Insel seit Zehntausenden von Jahren vollständig mit Regenwald bedeckt ist, belegt, dass indigene Völker die besten Naturschützer*innen der Welt sind.

Die Sentinelesen jagen und sammeln im Regenwald und fischen in den Küstengewässern. Im Gegensatz zum benachbarten Jarawa-Volk bauen sie Boote. Es handelt sich dabei um sehr enge Auslegerkanus, die als „zu eng für zwei Füße“ beschrieben werden. Sie können nur in flachen Gewässern genutzt werden, da sie wie ein Stechkahn mit einer Stange gesteuert und angetrieben werden.

Es wird vermutet, dass die Sentinelesen in drei kleinen Gruppen leben. Sie haben zwei unterschiedliche Häusertypen. Neben großen Gemeinschaftshütten mit Feuerstellen für mehrere Familien gibt es auch eher temporäre Unterschlüpfe ohne Seitenwände mit Platz für eine Kernfamilie, die manchmal vom Strand aus sichtbar sind.

Die Frauen tragen Stoffbänder um Taille, Hals und Kopf. Auch die Männer tragen Hals- und Stirnbänder, aber einen dickeren Taillengurt sowie Speere, Bögen und Pfeile.

© Survival International
Anders als andere Völker auf den Andamanen sind die Sentinelesen von guter Gesundheit

Obwohl sie in den Medien häufig als „steinzeitlich“ beschrieben werden, ist dies nicht zutreffend. Es besteht kein Grund zur Annahme, dass die Sentinelesen in den zehntausenden von Jahren, die sie vermutlich auf den Andamanen verbracht haben, stets auf dieselbe Weise gelebt hätten. Ihre Lebensweise wird sich viele Male verändert und angepasst haben, wie das bei allen Völkern der Fall ist. Beispielsweise nutzen sie heute Metall, das angespült wurde oder das sie aus Schiffswracks auf den Riffen der Insel geborgen haben. Das Eisen wird geschärft und als Pfeilspitzen verwendet.

Soweit aus der Ferne auszumachen, sind die Sentinelesen ausgesprochen gesund und kräftig – im Gegensatz zu den Großen Andamanesen, denen die Briten die „Zivilisation“ bringen wollten. Die Menschen, die am Ufer von North Sentinel zu sehen sind, erscheinen stolz, stark und gesund, und zu jeder Zeit konnten Beobachtende zahlreiche Kinder und schwangere Frauen ausmachen.

2004 erregten die Sentinelesen im Zuge des Tsunami in Asien durch ein Foto international Aufmerksamkeit. Es zeigte einen Sentinelesen am Strand, der Pfeile auf einen Hubschrauber schoss, der sich nach seinem Wohlergehen erkundete.

© Christian Caron – Creative Commons A-NC-SA
Die Sentinelese stehen an einem Inselstrand Wache.

Erschütternde Versuche der Kontaktaufnahme

Im späten 19. Jahrhundert landete M. V. Portman, der britische „Einsatzleiter der Andamanesen“, mit einer großen Mannschaft auf North Sentinel Island in der Hoffnung, Kontakt zu den Sentinelesen herzustellen. Die Gruppe bestand aus Fährtenlesern anderer Völker der Andamanen, die bereits durch die Briten zwangskontaktiert wurden, sowie aus Beamten und Häftlingen.

Die Gruppe fanden erst kürzlich verlassene Dörfer und Pfade vor, aber die Sentinelesen waren nirgends zu sehen. Allerdings fanden sie das Skelett eines alten Mannes, das „in einem großen Eimer in sitzender Haltung in den Wurzeln eines großen Baumes versteckt war“. Es ist möglich, dass die Sentinelesen ihre Toten auf diese Weise begraben und ehren. Nach ein paar Tagen trafen sie auf ein älteres Paar und vier Kinder, die „im Interesse der Wissenschaft“ entführt wurden und nach Port Blair, der Hauptstadt der Inselgruppe, gebracht wurden. Wie vorauszusehen war, wurden sie bald krank und die Erwachsenen starben. Die Kinder wurden zusammen mit einigen Geschenken zurück zu ihrer Insel gebracht.

Es ist nicht bekannt, wie viele Sentinelesen als Resultat dieser „Wissenschaft“ erkrankten. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass die Kinder ihre Krankheiten weitergaben und die Folgen verheerend waren. Es handelt sich hierbei um reine Spekulation, diese Erfahrung könnte jedoch die fortdauernde Feindseligkeit und Ablehnung gegenüber Außenstehenden erklären.

Portman reflektierte später selbstkritisch:

Man kann nicht sagen, dass wir mehr getan haben, als ihren allgemeine Schrecken vor und Feindseligkeit gegenüber allen Kommenden zu verstärken.
M.V. Portmann, Britischer Kolonialoffizier

Abgelehnter Kontakt

Während der 1970er Jahre unternahmen die Indischen Behörden gelegentlich Ausflüge nach North Sentinel um zu versuchen, sich mit dem Volk anzufreunden. Diese Ausflüge fanden häufig auf Geheiß von Würdenträgern statt, die auf ein Abenteuer aus waren. Bei einem der Ausflüge wurden zwei Schweine und eine Puppe am Strand hinterlassen. Die Sentinelesen spießten die Schweine auf und vergruben sie zusammen mit der Puppe. In den 1980ern wurden solche Besuche häufiger. Die Mannschaften versuchten an einem Ort zu landen, der sich außerhalb der Reichweite der Pfeile befand, und hinterließen Geschenke wie Kokosnüsse, Bananen und Eisenstücke. Manchmal schienen die Sentinelesen mit freundlichen Gesten zu reagieren, andere Male nahmen sie die Geschenke mit in den Wald und schossen dann Pfeile auf die Kontaktgruppe.

© A. Justin, An. S.I.
Die Sentinelesen stellen schmale Auslegerkanus her.

1991 gab es scheinbar einen Durchbruch. Als die Beamten auf North Sentinel ankamen, gab das Volk ihnen zu verstehen, ihnen Geschenke zu bringen und kamen dann zum ersten Mal ohne ihre Waffen auf sie zu. Sie wateten sogar ins Wasser und zum Boot, um weitere Kokosnüsse einzusammeln. Diese freundschaftliche Interaktion hielt jedoch nicht lange an. Obwohl solche Geschenkbesuche für einige Jahre fortgeführt wurden, waren die Begegnungen oft gewalttätig und immer eine große Gefahr für alle Beteiligten. Hin und wieder zielten die Sentinelesen mit ihren Pfeilen auf die Kontaktgruppe, und einmal griffen sie ein Holzboot mit ihren Dechseln (einer Steinaxt für die Bearbeitung von Holz) an. Niemand weiß, warum die Sentinelesen ihre Feindseligkeit gegenüber den Kontaktdelegationen zunächst aufgaben und dann wieder aufnahmen, oder ob manche an Krankheiten starben, mit denen sie sich während dieser Besuche angesteckt hatten.

1996 wurden die regelmäßigen Geschenkbesuche beendet. Viele Beamte begannen infrage zu stellen, ob es ratsam wäre zu versuchen, ein Volk zu kontaktieren, das gesund und zufrieden ist und das seit Tausenden von Jahren auf eigenen Füßen steht und gedeiht. Freundschaftlicher Kontakt hatte völkermörderische Folgen für die benachbarten Völker der Onge und der Großen Andamanesen, dessen Populationen um 85 % bzw. 99 % abnahmen. Anhaltender Kontakt mit den Sentinelesen hätte höchst wahrscheinlich ähnlich schreckliche Konsequenzen.

In den folgenden Jahren wurden nur gelegentlich Besuche unternommen, wieder mit gemischten Reaktionen. Nach dem Tsunami 2004 machten Beamte zwei Besuche, um aus der Distanz heraus sicherzustellen, dass es dem Volk gut zu gehen schien und es in keiner Weise Not litt. Im Anschluss erklärten sie, dass keine weiteren Versuche unternommen würden, die Sentinelesen zu kontaktieren.

Ihre extreme Isolation macht sie sehr anfällig für Krankheiten, gegen die sie keine Abwehrkräfte entwickelt haben, sodass Kontakt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tragische Konsequenzen für sie hätte.

Im Zuge einer Kampagne von Survival und lokalen Organisationen gab die indische Regierung Pläne, die Sentinelesen zu kontaktieren, auf. Auch aktuell vertritt die Regierung die Position, keinen weiteren Kontakt zu dem Volk herzustellen.

Alle Besuche auf North Sentinel sind nun streng verboten. Die indische Küstenwache patrouilliert in einer Pufferzone nahe der Küste, um zu verhindern, dass Eindringlinge zu Nahe kommen oder die Insel betreten.

Ein Großprojekt nach „John Allen Chau-Art“ auf Groß Nikobar?

Die Sentinelesen sind das isolierteste indigene Volk des Planeten, aber ihre Nachbarn, die Shompen, gehören ebenfalls zu den isoliertesten. Sie leben ausschließlich auf der Insel Groß Nikobar im südlichsten Teil der Inselgruppe der Andamanen und Nikobaren und lehnen jeden Kontakt mit Außenstehenden ab.

© Ministry of Ports, Shipping and Waterways
Visualisierung der indischen Regierung des geplanten Megahafens, nur eines von mehreren massiven Bauvorhaben, die zu einer weitreichenden ökologischen Zerstörung auf der Insel Groß Nikobar führen werden.

Während die indische Regierung allen Außenstehenden korrekterweise den Besuch von North Sentinel Island verbietet, könnten ihre Pläne die Insel Groß Nikobar nicht unterschiedlicher sein, denn sie planen, die Insel in das „Hong Kong Indiens“ zu verwandeln.

Für dieses „Mega-Entwicklungsprojekt“ sollen über drei Millionen Bäume gefällt und durch einen Mega-Hafen, eine neue Stadt, einen internationalen Flughafen, ein Kraftwerk, einen Militärstützpunkt, einen Industriepark und bis yu 650.000 Siedler*innen ersetzt werden - ein Bevölkerungszuwachs von fast 8000 %. 

Die Gefahren, die dieses Projekt für die Shompen darstellt, sind gigantisch. Indem es ihnen den Kontakt aufzwingt und den Völkermord an einem unkontaktierten Volk riskiert, ist dieses Projekt praktisch „John Allen Chau“ im Großformat. Die Regierung würde es niemals wagen, ein solches Megaprojekt auf dem Gebiet der Sentinelesen zu bauen, da sie weiß, dass es einen öffentlichen Aufschrei geben würde.

Im Februar 2024 schrieben 39 internationale Völkermordexpert*innen an den indischen Präsidenten und bezeichneten das Mega-Projekt als „Todesurteil für die Shompen, gleichbedeutend mit dem internationalen Verbrechen des Völkermords“. Sie forderten, das Mega-Projekt sofort aufzugeben. 

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Die Arbeit von Survival konzentriert sich darauf, Indien dazu zu drängen, die illegale Wilderei in den Gewässern der Sentinelesen zu stoppen, und dafür zu sorgen, dass die “Kein Kontakt”-Politik beibehalten wird. Es gibt viele Möglichkeiten zu helfen:

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