Modis Agrargesetze bedrohen Millionen indigener Bäuer*innen in Indien

Indische Indigene verbrennen Kopien der neuen Agrargesetze. © Survival

von Jo Woodman, Wissenschaftlerin bei Survival International

 

Indien wird von den Protesten der Bäuerinnen und Bauern erschüttert, die das Land erfasst haben. Auch wenn sich die Demonstrationen auf Delhi konzentrieren, hat es landesweit Proteste gegen die von Premierminister Narendra Modi eingebrachten Landwirtschaftsgesetze gegeben, von denen hauptsächlich die Agrarkonzerne profitieren würden.

Die Organisation Adivasi Adhikar Rashtriya Manch (Nationales Forum für die Rechte der Adivasi) warnte: „Die Adivasi des Landes wären die größten Leidtragenden“ und forderte die Regierung Modi auf, gegenüber den Protestierenden „Repressionen zu unterlassen“ und die umstrittenen Gesetze zurückzunehmen.

Für die indigenen Bäuerinnen und Bauern, die im Bundesstaat Maharashtra protestieren, sind die Agrargesetze untrennbar verknüpft mit dem Versagen der Regierung bei der Anerkennung und Einhaltung ihrer nach dem indischen Forstgesetz (Forest Rights Act) festgeschriebenen Rechte. Dieses Gesetz zielt darauf ab, die „historische Ungerechtigkeit“ der Ausbeutung und Vertreibung der indigenen Bevölkerung zu beenden. Die im Bundesstaat Jharkhand protestierenden Adivasi befürchten, dass die neuen Agrargesetze dazu beitragen würden, dass Familien in Folge steigender Lebensmittelpreise und zunehmender Verschuldung bei den Agrarkonzernen ihr Land verlören. Auf dem Spiel steht die Selbstbestimmung der Adivasi-Gemeinden und ihre Verbindung zu ihrem Land und damit ihr indigenes Wissen und ihr Überleben.

Schon jetzt stellt die Verschuldung für die indischen Bäuer*innen ein großes Problem dar und trägt maßgeblich zu der enorm hohen Selbstmordrate unter ihnen bei. Dort, wo die Bäuer*innen der Adivasi sich gegen den massiven Druck behaupten konnten, Saatgut und große Mengen Agrochemikalien von den Agrarkonzernen zu beziehen und Hypotheken auf ihr Land aufzunehmen, um diese Produkte bezahlen zu können, steht es um ihre psychische und körperliche Gesundheit sowie die ihrer Gemeinden weitaus besser.

Indigene Bäuer*innen besitzen oft kleine Landflächen, die nach den neuen Agrargesetzen zu großen Ackerflächen zusammengefasst werden sollen, und sind somit ernsthaft durch das Vorhaben bedroht. Wenn die Gesetze angewendet würden, könnte dies die Selbstbestimmung, Ernährungssicherheit und Existenzgrundlage der Adivasi ernsthaft beeinträchtigen. Es ist zu befürchten, dass die Bündelung von Agrarland nicht auf harmonische Kooperativen von Adivasi-Bäuer*innen hinauslaufen würde, sondern auf eine Kontrolle des Landes durch wenige mächtige Akteur*innen des Agrobusiness.

Das wirtschaftliche Ungleichgewicht resultiert bereits heute in einer so schwachen Verhandlungsposition der Adivasi-Bäuer*innen, dass sie nicht in der Lage sind, faire Preise für ihre Produkte einzufordern. Die Agrargesetze, die die Landwirtschaft weiter für Großkonzerne öffnen sollen, würden dieses Ungleichgewicht verstärken. Auch die gesetzlichen Mindestabnahmepreise, welche den Kleinbäuer*innen Planungs- und Einkommenssicherheit verschaffen, sind von diesen Gesetzen bedroht. Im Bundesstaat Bihar sind entsprechende Gesetze bereits verabschiedet worden. Die Mindestpreise sind in der Folge drastisch gesunken, was fatale Auswirkungen auf die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern hat – auch bei den Adivasi.

Eine weitere Befürchtung ist, dass mächtige Agrarkonzerne die Märkte dominieren werden, insbesondere die Mandis genannten Großmärkte, auf denen die Mehrheit der Bäuer*innen den Großteil ihrer Waren verkauft. Ram Lal Kariyam ist ein Adivasi-Anführer aus dem Bundesstaat Chhattisgarh. Er hält die Risiken für gravierend:

„Sie sind dabei, die Mandis zu privatisieren. Großkonzerne können dann die Preise einfach selbst festlegen und darüber entscheiden, wo in Chhattisgarh der nächste Mandi gebaut werden soll. Diese Gesetze sind nicht für uns gemacht worden, sondern für die Konzerne.“

Millionen Adivasi haben ihr Land bereits verloren. Trotz starker Widerstandsbewegungen hat es in der Vergangenheit eine brutale Vertreibung von Adivasi nach der anderen gegeben, um ihr Land für Bergbau, Staudämme, Plantagen oder Naturschutzgebiete zu rauben. Manche werden von der Regierung des ‘Übergriffes’ auf Ackerland beschuldigt, das sie seit Generationen bewirtschaftet haben, für das aber die formelle Anerkennung ihres Rechtsanspruches nach dem indischen Forstgesetz nach wie vor aussteht. Andere werden im Namen des Naturschutzes oder für Bergbauprojekte vertrieben. Dies hat hunderttausende Adivasi zu Landlosen und abhängig von der Lohnarbeit auf fremden Landwirtschaftsbetrieben gemacht. Die Bündelung der landwirtschaftlichen Arbeit in den Händen privater Konzerne und ihre Technisierung in Folge der neuen Agrargesetze würden sich schwerwiegend auf die in der Landwirtschaft Angestellten auswirken. Ihr Anteil an den Protestierenden ist eher gering, da sie täglich arbeiten müssen, um ihre Familien zu ernähren.

Der renommierte Journalist P. Sainath fordert eine Konsultation speziell von Frauen, die in der Landwirtschaft arbeiten, sowie von Bäuer*innen der Adivasi und Dalit und eine Einhaltung des indischen Forstgesetzes. Er fragte:

„Warum hat es keinen Dialog mit den Bäuerinnen und Bauern gegeben? Warum keine Diskussion im Parlament? Warum keine gemeinsame Sitzung der politischen Parteien? Warum wurde das Thema nicht vor den ständigen Ausschuss des Parlaments gebracht? Die Agrargesetze sind in Absprache mit den Konzernen entstanden.“

Der Einfluss von Konzernen auf die derzeitige indische Politik kann nicht zu hoch eingeschätzt werden. Bei den Protesten im Oktober 2020 ist eine Strohpuppe mit den Köpfen von Narendra Modi, Mukesh Ambani und Gautam Adani verbrannt worden. Die Bäuerinnen und Bauern verurteilen die neuen Agrargesetze und die Politik der Regierung Modi, die in ihren Augen den mächtigen Konzernen hilft und zu ihren Lasten geht. Bei Ambani und Adani handelt es sich um Milliardäre, die Unternehmen leiten, die mit Modi selbst eng verknüpft sind, und von dessen Regierungszeit außerordentlich profitieren konnten. Als die Proteste an Fahrt aufnahmen, drückten Unternehmen wie Vedanta ihre Unterstützung für die Agrargesetze über Twitter aus. Der Präsident der Kongresspartei (INC) Rahul Gandhi hingegen twitterte: „Die ‘Adani-Ambani-Agrargesetze’ müssen zurückgenommen werden.“

Parallel zur Öffnung der Landwirtschaft für Agrarkonzerne ermöglicht Modi auch den Bergbau durch private Unternehmen, insbesondere in den Wäldern der Kerngebiete der indigenen Bevölkerung in Zentralindien. Modi behauptet, dies würde Indien „eigenständig" machen. Doch die eigenständigsten Gemeinden des Landes haben dabei am meisten zu verlieren und wehren sich entschlossen gegen die Rodung von Wäldern, den Bergbau und die Verschmutzung der Gewässer. Mit dem Verlust ihres Landes verlieren indigene Völker alles. Wie es der Anführer der Guarani-Kaiowá Marcos Verón ausdrückte:

„Unser Land ist unser Leben, unsere Seele. Ohne unser Land sterben wir.“

Jene, die sich dagegen wehren, werden häufig fälschlicherweise als ‘Maoist*innen’ gebrandmarkt, als Sympathisant*innen der bewaffneten Widerstandsbewegungen, die in Indiens kaum beachtetem Bürgerkrieg kämpfen. Sie werden des Terrorismus, der Volksverhetzung und anderer schwerer Straftaten beschuldigt, obwohl sie lediglich versuchen, ihr Land und ihr Leben zu verteidigen. Das drakonische ‘Gesetz zur Vorbeugung ungesetzlicher Aktivitäten’ (UAPA) ist zu einer Waffe der Modi-Regierung geworden, die gegen jede Person gerichtet wird, die sich gegen staatliches Unrecht erhebt. In einer Stellungnahme der Organisation ‘International Solidarity for Academic Freedom in India’ (InSAF) betont diese: „Begriffe wie ‘Linksextreme’ und ‘städtische Naxalit*innen’ sind unklar definiert und dienen als Vorwände, um alle zu inhaftieren, die ihre Stimme erheben und auf Ungerechtigkeiten aufmerksam machen. Es ist nicht richtig, dass ‘Maoist*innen’ die Bäuer*innen-Bewegung unterwandern würden. Vielmehr ist es so, dass der mit den Konzernen eng verknüpfte Staat in das Land der Menschen eindringt und ihre Berge, Wälder und Flüsse plündert.“

Auch Journalist*innen werden zunehmend verfolgt. Im Zuge der dramatischen Proteste am Tag der Republik, sind Journalist*innen und Redakteur*innen der Aufwiegelung beschuldigt worden, weil sie über den Tod eines Protestierenden berichtet hatten. Einer aktuellen Studie zufolge, sind allein im letzten Jahr 67 Journalist*innen inhaftiert und fast 200 angegriffen worden. Die etablierten Medien werden zunehmend eingeschüchtert und treten als Unterstützer von Modi in Erscheinung, was die Überbleibsel der indischen Demokratie bedroht. 

Um die Proteste der Bäuerinnen und Bauern zu zerschlagen, sind neben der Repression gegen Journalist*innen große Absperrungen errichtet worden. Über 50 Millionen Menschen wurde das mobile Internet abgeschaltet und die Polizei ist zunehmend militarisiert worden. Modi sollte erkennen, dass er die Zerstörung der größten Demokratie der Welt anführt, wenn Tränengas, Schlagstöcke und die Abschaffung der Meinungsfreiheit zu den Mitteln geworden sind, um seine Gesetze durchzusetzen. Unterdessen halten die Repressionen an. Vor Kurzem ist die Fridays-for-Future-Aktivistin Disha Ravi für ihre Mitwirkung an einer Art Anleitung zur Unterstützung der Bäuer*innen-Proteste, die in sozialen Netzwerken geteilt wurde, festgenommen worden. Im Kontext ihrer Anklage wegen Aufwiegelung erklärte der zuständige Richter: „Die Regierung kann sich nicht auf den Straftatbestand der Aufwiegelung berufen, wenn sie sich in ihrer Eitelkeit gekränkt fühlt.“

Die Welt schaut nun auf den Umgang Modis mit den Protestierenden. Dabei ist es entscheidend, dass auch ein Blick auf die am wenigsten Sichtbaren geworfen wird: Die 104 Millionen Adivasi des Landes. Survival International setzt sich dafür ein, dass ihre Stimmen gehört werden, und unterstützt ihren Widerstand dagegen, dass das zunehmend autoritäre indische Regime ihr Land, ihre Wälder und ihre Rechte als Indigene mit Füßen tritt.

 

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