Perus unkontaktierte Völker von Gasprojekt bedroht
Sie leben knapp 100 Kilometer vom Machu Picchu entfernt. Jetzt bedrohen aber Gas- und Ölprojekte die Zukunft unkontaktierter Völker im Herzen des alten Reiches der Inka.
Das erste Mal erblicken die meisten Wanderer Machu Picchu im Morgengrauen, wenn das Tageslicht durch die Mauern des Sonntores Intipunku flutet.
Jedes Jahr besuchen fast eine Million Touristen die Inka-Zitadelle, die auf einem hervorstehenden Bergrücken in den östlichen Anden, über dem Urubamba-Tal, dem Heiligen Tal der Inka, thront. Machu Picchu ist Perus wichtigste archäologische Stätte, das Herz des Inka-Reiches.
Doch den wenigsten Besuchern ist bewusst, dass nur 100 Kilometer entfernt von den Terrassen und Granittempeln das Überleben einiger der letzten unkontaktierten Völker der Welt in Gefahr ist.
Wenige Touristen wissen, dass diese Völker heute am Rande der Ausrottung stehen.
© Icelight/Wikicommons
Die angestammte Heimat dieser Völker liegt in einem Gebiet, das heute als Manú-Nationalpark bekannt ist. Manú ist so reich an Tier- und Pflanzenarten, dass er 1973 per Präsidialdekret zum Nationalpark ernannt wurde und seit 1987 UNESCO-Weltnaturerbe ist.
Der Manú-Nationalpark ist ungefähr so groß wie Sachsen und beheimatet Schätzungen zufolge 10 % aller weltweiten Vogelarten und mehr Pflanzenarten, als jeder anderer Ort der Erde.
An den Nationalpark grenzt das Nahua-Nanti-Reservat, in dem Nahua, Nanti und Angehörige der Matsigenka-Indianer leben.
Die indigenen Völker der Region haben schon oft Gewalt durch Eindringlinge erfahren, die die natürlichen Rohstoffe ihrer Heimat plündern wollten.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Gegend durch den Kautschuk-Baron Carlos Fermin Fitzcarrald erschlossen, als er die heute als Isthmus von Fitzcarrald bekannte Landenge zwischen den Flussbecken von Urubamba und Madre de Dios überquerte.
Sein unersättliches Streben nach Kautschuk führte zur Versklavung und zum Tod vieler Indianer.
© Anon/Survival
Der Fluss Urubamba ist ein wichtiger Zufluss für den Amazonas.
In den 1980er Jahren begann der Ölkonzern Shell im Regenwald des Urubama-Tals nach Öl und Gas zu suchen.
Für die ersten Erkundungen wurden Schneisen durch vorher unzugängliches Gebiet geschlagen, auf denen Holzfäller ihren Weg in den Wald fanden.
Die Holzfäller brachten Krankheiten, gegen die die indigenen Völker keine oder nur geringe Abwehrkräfte entwickelt hatten.
Erkrankungen der Atemwege suchten Mitglieder der Nahua-Indianer heim, die durch die Erschließung zum ersten Mal kontaktiert wurden: Die Hälfte der Gemeinde verstarb innerhalb weniger Monate.
Bevor die Holzfäller kamen, wussten wir nicht was eine Erkältung ist, erinnert sich ein Nahua. Die Krankheit tötete uns. Die Hälfte meines Volkes starb. Überall starben Menschen, wie Fische in einem vergifteten Fluss.
Menschen verwesten an den Flussufern, in den Wäldern, in ihren Häusern. Sie wurden von Aasfressern gegessen.
Diese schreckliche Krankheit!
© Glenn Shepard (www.ethnoground.blogspot.co.uk)
Shells Erkundungen führten zur Entdeckung des Camisea-Gasvorkommens.
Die riesigen Camisea-Gasfelder liegen im Unteren Urubamba-Flusstal, im Herzen des Nahua-Nanti Reservats. Zwei ihrer Pipelines führen mitten durch den Wald bis an die Pazifikküste.
Die Gasförderung begann 2004. Heute betreibt ein Konsortium von ausländischen Firmen, darunter Hunt Oil Texas aus den USA, Repsol aus Spanien und Pluspetrol aus Argentinien, das Gasfeld.
© A. Goldstein/Survival
Eine Gruppe von Nahua-Indianern reiste 2003 in die Hauptstadt Lima, um die Regierung vor den Gefahren der Öl- und Gaskonzessionen für ihr Land und die Menschen zu warnen.
In der Vergangenheit hat Shell hier gearbeitet und fast alle von uns starben an Krankheiten, sagten sie. Wir wissen, dass unsere Flüsse und unser Land zerstört werden, wenn ein neues Unternehmen kommt.
Was werden wir essen, wenn die Flüsse tot und die Tiere verschwunden sind? Wir wollen nicht, dass Unternehmen hier arbeiten.
Wir wollen klares Wasser und ein friedliches Leben.
© Johan Wildhagen
Trotz der Tragödien, die die Ausbeutung von Rohstoffen in den letzten drei Jahrzehnten gebracht hat, und trotz der eindringlichen Warnung der betroffenen indigenen Völker, erteilte Perus Regierung im April 2012 die Erlaubnis für die Ausweitung des Gasblocks 88, von dem 75% im Reservat liegen.
Wo wird das enden ? fragt Stephen Corry, Direktor von Survival International. Damit gibt die Regierung grünes Licht für weitere Bohrlöcher, weitere seismische Tests, weitere Hubschrauber und noch mehr Verschmutzung.
Kurz gesagt, bringt sie die Indigenen in tödliche Gefahr und erlaubt möglicherweise eine Wiederholung der Geschichte.
© Survival
Nicht mal einen Monat später, im Mai 2012, gab es bisher unbestätigte Berichte darüber, dass mehrere Matsigenka-Kinder durch Vergiftungen nach einem Gasaustritt gestorben und einige Erwachsene erkrankt wären.
Chaotische Entwicklungsprozesse haben drastische soziale und ökologische Probleme losgetreten, erklärte Glenn Shephard kürzlich gegenüber Survival. Der Ethnobotaniker arbeitet seit Jahren mit den indigenen Völkern.
Weder die peruanische Regierung noch die Gaskonzerne können in gutem Glauben behaupten, dass sie aus den tragischen Fehlern der Vergangenheit gelernt hätten.
© G Shepard/ Survival
Vor einigen Jahren enthüllte ein Bericht die Pläne des argentischen Gaskonzerns Pluspetrol, seine Aktivitäten über den bisherigen “Block 88” zu erweitern.
Der neue Block, ironischerweise Fitzcarrald genannt, soll östlich von Block 88 liegen, im Isthmus von Fitzcarrald. Falls bestätigt, würde der Block das Nahua-Nanti-Reservat in der Mitte durchtrennen und das Leben unkontaktierter Indianer unmittelbar bedrohen.
Das Unternehmen Pluspetrol veröffentlichte kurz darauf eine Erklärung, in der es zugab „oberflächliche geologische Studien … aus wissenschaftlichem Interesse“ durchzuführen. Pluspetrol versprach auch, diese Pläne aufzugeben.
Im März 2013 verlangten die Vereinten Nationen die sofortige Suspendierung der
Ausweitung im peruanischen Amazonasgebiet.
© Survival
Mitarbeiter des Camisea-Projekts reisen per Hubschrauber in die Region. Der untypische Krach vertreibt das Wild und die Tiere im Wald, von denen die Indianer leben.
Immer hören wir Hubschrauber, sagt Jose Choro, ein früherer Nahua-Anführer. Unsere Tiere sind fort und es gibt keinen Fisch.
AIDESEP, die nationale Indianer-Organisation in Peru, sagt, dass Camisea eine Bedrohung für die körperliche, kulturelle, territoriale und ökologische Integrität der indigenen Völker ist.
© A. Goldstein/Survival
Die Nanti sind Jäger, die auch Feldfrüchte in ihren Gärten anbauen.
In der Trockenzeit, wenn der Wasserstand niedrig ist und sich weiße Sandbänke in den Flüssen bilden, schlagen Familien ihr Lager am Fluss auf. Sie nutzen den niedrigen Wasserstand um zu fischen und nach Schildkröteneiern zu suchen. Die Fische werden mit Barbasco gefangen, einem natürlichen Fischgift.
Die Männer jagen nach Wild und legen dabei bis zu 15 Meilen am Tag zurück. Die Frauen sammeln wilde Früchte, Palmenherzen und Käferlarven.
© Unknown/Survival
Sonnenuntergang am Oberen Manú-Fluss.
Seit Generationen haben die indigenen Völker im Reservat eine enge Beziehung zu ihrer Heimat im Wald aufgebaut und Unmengen an Wissen über seine Flora und Fauna gesammelt.
Die Matsigenka kennen über 300 Pflanzenarten, die sie zur Behandlung von Krankheiten einsetzen, und um Alpträume abzuwehren, Babys in der Nacht schlafen zu lassen und die Fähigkeiten von Jagdhunden zu verbessern, sagt Glenn Shepard.
© Glenn Shephard
Der Manú-Nationalpark ist auch die Heimat von unkontaktierten Völkern wie den nomadischen Mashco-Piro.
Die Mashco-Piro sind mit hoher Wahrscheinlichkeit Nachfahren der ursprünglichen Bewohner des Oberen Manú.
Dezimiert durch Fitzcarralds Angriffe, waren viele indigene Völker gezwungen die Landwirtschaft aufzugeben und sich von der Außenwelt zurückzuziehen.
© Jean-Paul Van Belle
Die temporären Häuser der Mascho-Piro werden aus Palmwedeln gebaut.
Es ist nicht viel über unkontaktierte Völker bekannt. Doch sie haben deutlich gemacht, dass sie keinen Kontakt mit der Außenwelt wünschen.
Manchmal reagieren sie aggressiv, um ihr Gebiet zu verteidigen, oder sie hinterlassen Zeichen im Wald, um Außenstehenden klar zu machen, dass sie das Gebiet nicht betreten sollen.
© FENAMAD
Diese Pfeile wurden 2005 von einem Matsigenka-Lehrer gefunden, nachdem eine Gruppe unkontaktierter Mashco-Piro ihn mit Pfeilen beschossen hatte, damit er sich nicht weiter nähert.
Man erkennt die Pfeile an den Adlerfedern, dem wilden Schilfrohr und der einzigartigen Wickeltechnik.
© G.Shepard/Survival
Internationales Recht erkennt die Landrechte der peruanischen Indianer an, genauso wie es ihr Recht darauf schützt, so zu leben wie sie es wünschen.
Doch diese Rechte werden weder von der peruanischen Regierung noch von den Unternehmen im Nahua-Nanti-Reservat respektiert.
Die Pläne sind eine klare Verletzung einer Präsidialverordnung von 2003, die jede neue Entwicklung natürlicher Rohstoffe innerhalb des Nahua-Nanti-Reservats verbietet, sagt Stephen Corry.
Der Erweiterung von Block 88 und die Pläne für Fitzcarrald sind mit der Präsidialverordnung nicht in Einklang zu bringen.
© Shinai
Das Heilige Tal der Inka schlängelt sich weiter gen Norden zu den Bergen.
Die meisten Inka-Städte wurden durch die spanischen Eroberer zerstört, sagt Stephen Corry. Es ist daher fast ironisch, dass die Regierung so viel Zeit und Ressourcen darin investiert, die Symbole seines indigenen Erbes zu schützen, aber daran scheitert, der lebenden indigenen Bevölkerung den gleichen Respekt entgegenzubringen.
Einfach gesagt, muss das Land indigener Völker geschützt werden oder sie werden ausgelöscht. So wie das Reich der Inka im 17. Jahrhundert.
© Cgadbois/Wikicommons
Im April 2013 haben Unterstützer von Survival weltweit vor peruanischen Botschaften und Konsulaten gegen die Ausweitung des Camisea-Projektes protestiert.
Die Welt ist aufmerksam: Die Vereinten Nationen riefen Peru zur “sofortigen Suspendierung” der Ausweitung des Projektes auf. Die peruanische Regierung erklärte, sie habe keine Pläne im Fitzcarrald-Block zu erkunden.
Stephen Corry, Direktor von Survival International, sagte: “Das Camisea-Gasprojekt bis tief in das Gebiet unkontaktierter Völker auszuweiten, ist ein rücksichtsloses und unglaublich verantwortungsloses Unterfangen. Die UN will diesen Plan vom Tisch haben – ich hoffe, dass Perus Regierung bereit ist zuzuhören.”
Bereits 123.021 Menschen haben die Petition für unkontaktierte Völker in Peru unterschrieben© G Shepard/ Survival