Tansania: Tausende Massai geflohen – Dutzende Verletzte und Festnahmen bei Vertreibungen im Namen von Trophäenjagd und „Naturschutz“
13 Juni 2022
Tausende Massai sind aus ihren Häusern geflohen, nachdem die Polizei brutal gegen Proteste vorgegangen ist. Die Indigenen hatten zuvor gegen geplante Vertreibungen für Trophäenjagd und Naturschutz demonstriert.
- Am 8. Juni trafen Dutzende von Polizeifahrzeugen und schätzungsweise 700 Sicherheitskräfte in Loliondo im Norden Tansanias – in der Nähe des weltberühmten Serengeti-Nationalparks – ein, um ein 1.500 km² großes Gebiet der Massai als Wildschutzgebiet auszuweisen.
- Am 10. Juni schossen Sicherheitskräfte auf Massai, die gegen ihre Vertreibung protestierten: Mindestens 18 Männer und 13 Frauen wurden angeschossen und 13 mit Macheten verwundet. Eine Person wurde getötet.
- Gegenwärtig durchkämmt die Polizei Massai-Dörfern und schlägt und verhaftet diejenigen, von denen sie annimmt, dass sie Bilder von der Gewalt veröffentlicht oder an den Protesten teilgenommen haben. Ein 90-jähriger Mann wurde von der Polizei verprügelt, weil sein Sohn Schüsse gefilmt haben soll. Allein aus einem Dorf wird berichtet, dass mindestens 300 Menschen – darunter auch Kinder – geflohen sind. Ein Dutzend Menschen wurde verhaftet.
In den sozialen Medien geteilte Videos und Fotos zeigen einen brutalen und wahllosen Angriff auf die Demonstrierenden.
Die Gewalt der letzten Tage ist die jüngste Eskalation in andauernden Versuchen der tansanischen Behörden, die Massai von ihrem Land in Loliondo zu vertreiben, um dort Safaritourismus und Trophäenjagd zu betreiben. Die in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) ansässige Otterlo Business Company (OBC), die Jagdausflüge für die königliche Familie des Landes und ihre Gäste organisiert, wird Berichten zufolge die kommerzielle Jagd in dem Gebiet kontrollieren.
Ein Massai-Anführer, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte, sagte: „Unsere Regierung hat beschlossen, die gesamte Macht des Militärs zu entfesseln, um uns von unserem Land zu vertreiben. Viele wurden durch Schüsse verletzt, Kinder streifen allein umher und wir schlafen unter freiem Himmel. Die Regierung weigert sich, die Verletzten zu behandeln. Viele Menschen sind ohne Nahrung. Und dies auf unserem angestammten Land. Es ist barbarisch, unser Land für die Luxusjagd der Elite in den VAE zu nehmen.“
Ein anderer Massai-Mann sagte gegenüber Survival: „Ich liebe diesen Ort, weil er mein Zuhause ist … Sie wollen unser Land, weil wir Wasserquellen haben, und wir haben sie, weil wir sie schützen. Wir leben schon seit Generationen mit den Wildtieren zusammen.“
„Sie wollen die Maasai nicht, weil die Leute, die hierherkommen, die Maasai nicht sehen wollen. Früher haben wir nicht so viel (oder schlecht) über den Tourismus gedacht, aber jetzt verstehen wir, dass Tourismus bedeutet, dass Leute mit Geld kommen, und das bringt die Regierung auf den Gedanken: ‚Wenn wir die Maasai umsiedeln, kommen mehr Leute mit Geld hierher!‘.“
Deutschland ist ein wichtiger Geldgeber für Naturschutzprojekte in Tansania und ist maßgeblich an der Gestaltung der Naturschutzpolitik in dem Land beteiligt, die zur Vertreibung Tausender Indigener geführt hat. Die Zoologische Gesellschaft Frankfurt unterstützt Wildhüter*innen und Mitarbeiter*innen der Naturschutzbehörde, von denen die Massai berichten, dass einige in die jüngsten Vertreibungen verwickelt waren.
Fiore Longo von Survival International sagte heute: „Was in Loliondo vor sich geht, entwickelt sich schnell zu einer humanitären Katastrophe, die das wahre Gesicht des Naturschutzes zeigt. Auf die Massai wird geschossen, nur weil sie auf ihrem angestammten Land in Frieden leben wollen – und das alles, um Platz für die Trophäenjagd und den ‚Naturschutz’ zu schaffen. Viele Massai-Familien, die heute mit Gewalt konfrontiert sind, wurden 1959 von britischen Kolonialbeamten aus der Serengeti. Was derzeit geschieht, ist eine Fortsetzung der kolonialen Vergangenheit.”
„Diese Gewalt, die wir in Tansania sehen, ist die Realität des Naturschutzes in Afrika und Asien: tägliche Verletzungen der Menschenrechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften, damit die ‚Reichen’ jagen und auf Safari gehen können. Diese Verstöße sind systematisch. Sie folgen aus dem vorherrschenden Naturschutzmodell, das auf Rassismus und Kolonialismus
beruht. Dieses Modell besagt, dass Menschen – insbesondere Nicht-Weiße – in Schutzgebieten eine Bedrohung für die Umwelt darstellen. Doch die indigenen Gemeinden leben dort seit Generationen: Diese Gebiete sind heute wichtige Naturschutzgebiete, weil die ursprünglichen Bewohner*innen ihr Land und ihre Tierwelt so gut gepflegt haben. Wir können nicht länger die Augen vor Menschenrechtsverletzungen verschließen, die im Namen des ‚Naturschutzes ’ begangen werden. Dieses Modell des Naturschutzes ist zutiefst unmenschlich und ineffektiv und muss jetzt geändert werden.“