KfW-Bernhard-Grzimek-Preis: Aushängeschild für koloniales und rassistisches Erbe des Naturschutzes

8 Juni 2022

Die Rolle von Bernhard Grzimek im Dritten Reich ist inzwischen teilweise bekannt. Doch sein dunkles Vermächtnis im Naturschutz bleibt ein blinder Fleck. Das Foto zeigt Unterlagen seiner Personalakte aus dem Reichsernährungsministerium. © Survival International

Angesichts der drohenden Vertreibung indigener Massai aus Gebieten rund um den Serengeti-Nationalpark in Tansania verurteilt Survival International die geplante Verleihung des KfW-Bernhard-Grzimek-Preises.

„Es ist schockierend, dass im 21. Jahrhundert ein Preis vergeben wird, der den Namen eines Nazi-Beamten und Verfechter der Eugenik trägt. Es ist noch schockierender zu sehen, dass dieser Preis von der KfW, einer öffentlichen Einrichtung, unterstützt wird. Am schockierendsten ist jedoch, dass unsere Steuergelder weiterhin die Art von Naturschutz finanzieren, für die Grzimek steht: einen kolonialen und rassistischen Naturschutz, der indigene Völker als Zerstörer der Artenvielfalt darstellt und ihnen ihr Land notfalls mit Gewalt entreißt. Dieser ‚Naturschutz‘ ist eine menschliche und ökologische Katastrophe“, sagte Fiore Longo, Leiterin der Kampagne zur Dekolonialisierung des Naturschutzes von Survival International.

In Tansania, Grzimeks „zweiter Heimat“, zeigt sich aktuell auf dramatische Weise, welche fatalen Konsequenzen diese Art von Naturschutz für indigene Völker hat: Zwischen 100.000 und 200.000 Massai – deren Familien teilweise bereits 1959 die Serengeti verlassen mussten – sind von einer erneuten Vertreibung aus Gebieten rund um den Nationalpark bedroht, um Platz für Luxustourismus, Trophäenjagd und „Naturschutz“ zu schaffen.

Ein Massai-Ältester erklärte gegenüber Survival International: „Von allen Feinden der Welt ist [Bernhard Grzimeks] Zoologische Gesellschaft Frankfurt der Feind Nummer eins der Massai. Denn sie ist für die Vertreibungen der Massai verantwortlich, seit wir die Serengeti verlassen haben. Sie kamen mit ihren Ideen und ihrem Geld. […] Ich habe die Serengeti verloren, […] die ich so liebte.“

Yannick Ndoinyo, Massai-Aktivist, Wissenschaftler und ehemaliger ZGF-Mitarbeiter sagte: „Der Serengeti-Nationalpark und die Naturschutzkonzepte, die von Bernard Grzimek geschaffen und von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt durchgesetzt wurden, sind gescheitert. […] Was in den 1950er Jahren geschah, ist ein komplettes Versagen, eine völlige Enteignung, und es ist völlig falsch. Aber wir sehen jetzt, dass das Erbe fortgesetzt wird.“

Zwischen 100.000 und 200.000 Massai in Tansania drohen Vertreibungen aus Gebieten rund um den Serengeti-Nationalpark, um Platz für Luxustourismus, Trophäenjagd und „Naturschutz“ zu schaffen. © Survival International

Auch die KfW – die Stifterin der KfW-Stiftung und enge Partnerin von Grzimeks Zoologischer Gesellschaft Frankfurt – ist seit Jahren in Naturschutz-Projekte verwickelt, in denen es zu Landraub und schweren Menschenrechtsverletzungen an indigenen Männern, Frauen und Kindern kommt, darunter Folter, Mord und Vergewaltigung.

Eine Bitte von Survival International, den Preis umzubenennen und sich kritisch mit Grzimeks Vermächtnis für den internationalen Naturschutz aufzuarbeiten, wurde von der KfW-Stiftung abgelehnt. Die Stiftung befürwortet zwar eine „kritische Auseinandersetzung mit Grzimeks NSDAP-Vergangenheit“, sieht aber keinen Anlass sein Wirken im Artenschutz zu thematisieren.

„Der KfW-Bernhard-Grzimek-Preis für Biodiversität ist wie ein Jeff-Bezos-Preis für den Einzelhandel: Er ist blanker Hohn. Die ganze Geschichte zeigt uns sehr deutlich, warum es immer wieder Naturschutzprojekte gibt, die die Menschenrechte indigener Völker verletzen und die Artenvielfalt nicht retten: Weil Länder wie Deutschland, das zu den wichtigsten Geldgebern des ‚internationalen Biodiversitätsschutzes‘ gehört, den Anschluss verpasst haben. Indigene Völker sind die besten Naturschützer und ihre Landrechte müssen respektiert werden. Naturschutz nach Grzimek führt in die Sackgasse“, sagte Linda Poppe von Survival International in Berlin.

Hinweis für die Redaktion:

In Loliondo und im Ngorongoro-Schutzgebiet sind zwischen 100.000 und 200.000 Massai von der Vertreibung bedroht, um Platz für Luxustourismus, Trophäenjagd und „Naturschutz“ zu schaffen. Diese Vertreibungen würden nicht nur die Lebensgrundlage und Lebensweise der Massai zerstören, sondern auch die Landschaft, die sie seit Generationen gepflegt und geschützt haben. Die Massai sind im Namen des Naturschutzes groben Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, darunter Vertreibungen, Einschüchterungen und die Zerstörung ihrer Häuser. Darüber hinaus sind ihre Möglichkeiten, sich selbst zu versorgen, Vieh zu halten, Subsistenzlandwirtschaft zu betreiben oder Zugang zu Wasser zu haben, eingeschränkt.

Indigene Völker sind die besten Naturschützer*innen. Eine Vielzahl von Beweisen und Studien bestätigt, dass sie ihre Umwelt und ihre Tierwelt besser als jeder andere verwalten und das von ihnen bewirtschaftete Land zu den artenreichsten Gebieten der Erde gehört. Achtzig Prozent der Artenvielfalt unseres Planeten sind in Gebieten indigener Völker zu finden. „Festungsschutz“ fördert jedoch immer noch den Ausschluss indigener Völker von ihrem Land und seinen Ressourcen.

Aktuelle Forderungen wie die Ausweitung von Naturschutzgebieten auf 30% der Erdoberfläche bis 2030 drohen unter diesen Vorzeichen ebenfalls zu einem massiven Landraub an indigenen Gemeinden zu führen.

Survival hat sich im November letzten Jahres schriftlich an die KfW-Stiftung gewandt, um Bedenken gegen den mit 50.000 Euro dotierten KfW-Bernhard-Grzimek-Preis zu äußern. Im April 2022 lehnte die Stiftung die Anfrage ab und nahm neue Nominierungen für den Preis an. Lesen Sie hier Survivals Schreiben.

Maasai
Indigenes Volk

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